wege erleben

Renate Dyck

Und wenn man schon gar nicht mehr darauf hoffen mag...

Die Wanderung mit dem Uhu

Von Nadine Franzmeyer

Natürlich ist es immer großartig, wenn man eine Wanderung in der Natur unternimmt und dort dann etwas Außergewöhnliches erlebt, an das man noch in Jahren mit einem Lächeln zurück denkt. Und natürlich sind Wanderungen auch ohne spektakuläre Ereignisse immer ein lohnens- wertes Erlebnis, aber eben auch nicht mehr als das.
 
Wenn man dann jedoch so wie Renate Dyck und ich im März 2009 mit einem Fernsehteam auf einer Frühjahrsnachtwanderung unterwegs ist, hofft man als Veranstalterinnen natürlich insgeheim fest auf das Eintreffen ersterer Variante, nämlich auf etwas Besonderes. Da es aussichtsreich ist, um diese Zeit besonders auf die Rufe und den Gesang von Eulen zu achten, ruhten unsere Hoffnungen für diese Wanderung auf einer akustischen Begegnung mit einem Uhu oder zumindest der Möglichkeit, ein Konzert von Waldkäuzen mit anhören zu können. Dies wäre schon ein toller Aufhänger für einen Fernsehbeitrag gewesen.
 
Nun rückte der Termin für besagte Nachtwanderung näher und näher, nur die Probewande-rungen in den Nächten der Woche davor ließen unsere Hoffnungen zusehends schwinden. In der Tat erschien uns der nächtliche Wald nie so ausgestorben wie in dieser Zeit, was jedoch gewiss in unserer Erwartungshaltung begründet war – oder eben auch nicht, wer weiß.
 
Ich zumindest, in meiner leicht pessimistischen Art (nur manchmal, RD :-)), sah das Desaster schon perfekt animiert auf uns zukommen:
Wir, mit einer Wandergruppe im völlig ausgestorbenen, düsteren Wald. Mit einem enttäusch- ten und entnervten Fernsehteam, das selbst das kleinste bisschen Atmosphäre, das aufzu- kommen wagt, mittels Kameralicht und Mikrofon rigoros zu vernichten weiß. Das war eines der diversen Szenarien, die mir vorschwebten und die ein ganz ungutes Gefühl in der Magenge- gend verursachten.
Doch dann sollte alles ganz anders kommen.
 
Am besagten Abend standen wir nun mit mehr oder minder gemischten Gefühlen eine Stunde vor Beginn der Wanderung am Eingang zum Tierpark Olderdissen und erwarteten Oliver Meyer und seinen Kollegen vom Lokalsender Kanal 21, um mit ihnen vorab noch das ein oder andere Organisatorische abzusprechen. Es war eine wunderschöne und beinahe wolkenfreie Nacht und ein fantastisch heller Vollmond war zu sehen.
 
Während Renate Dyck mit den Herren noch den Verlauf der Strecke durchsprach, schlenderte ich schon einmal in Richtung des großen Hauptplatzes, von dem aus sich die verschiedenen Wege im Tierpark verlieren. Mit der Gruppe würden wir später den Weg an den Vogelgehe- gen, unter anderem auch den Uhus, vorbei nehmen und ihm entlang der Bärenanlage und der Hochlandrinderweide folgen bis wir schließlich oben am Waldrand ankommen würden, von wo aus die eigentliche Wanderung durch den Wald starten sollte.
 
Ich stand einen Moment still und lauschte auf die verschiedenen Geräusche, die aus dem Tierpark zu meinem Standort unter dem großen Baum am Rande des Platzes drangen.
„Buhu.“, war zwischen den anderen Lauten immer wieder aus Richtung Uhugehege zu vernehmen.
 „Buhu.“
‚Ja’, dachte ich, ‚ genau das würde ich gerne auch nachher im Wald hören. Wenn wir doch nur Glück hätten und...’
„Buhu.“
‚Moment mal. Ist das denn möglich?’
„Buhu.“
‚Doch, tatsächlich...’
Der Gesang kam zwar aus der Richtung, doch nun war ich mir sicher, dass er keinesfalls aus dem Gehege selbst stammen konnte, denn dieses befindet sich unweit des grossen Platzes rechts am Wegrand, während die Rufe die ich da hörte ganz eindeutig aus den hohen Buchen links des Weges kamen, fast gegenüber des Geheges.
 
Ich kramte hastig nach dem Handy. Auf gar keinen Fall wollte ich jetzt meinen Standort verlassen, um die anderen zu holen.
Also rief ich Renate an, sie solle rasch, aber leise mit den Männern und ihrer Kamera zum Hauptplatz kommen und sich den freilebenden Uhu anhören, der da seinen eingesperrten Artgenossen kräftig etwas vorsang.
Sollte dem Tierpark nicht zufällig gerade an diesem Abend einer seiner Uhus entflohen sein, was ja eher unwahrscheinlich war, dann war das wirklich eine sehr interessante Beobachtung.
 
Aus Richtung des Geheges selbst war zwischendurch nur ein mehr oder minder eingeschüchtertes und knatschendes „Ubruhulub“ zu hören. Die Begeisterung der Bewohner schien sich ob des aufdringlichen Besuchers bei ihrem Minirevier also offenbar in Grenzen zu halten.
Keine zwei Minuten später standen Renate und die Herren vom Fernsehen vor mir und wir hörten uns das Schauspiel kurz gemeinsam an.
 
Inzwischen hatte der Uhu seinen Sitzplatz gewechselt und saß unweit von uns in den Bäumen hinter der Eselweide, nahe des Hauptplatzes. Wir konnten ihn sogar gegen den etwas helleren Himmel dorthin fliegen sehen und dort hockte er nun und ließ weiter ausdauernd sein Rufen vernehmen.
Und jetzt kam der Satz von Oliver Meyer, den ich schon seit Tagen gefürchtet hatte: „Wir lassen jetzt mal die Kamera laufen, damit wir den Uhu als Tonaufnahme haben und sie könnten vielleicht kurz etwas dazu sagen.“
All’ meine geplanten Sätze, meine zurecht gelegten Infos und Fakten, lösten sich mit einem imaginären ‚Paff’ in Schall und Rauch auf.
„Jetzt?“
„Ja bitte.“
Ich sagte, was mir zum Thema einfiel. Ich hatte es mir schlimmer vorgestellt.
Letzten Endes hatte ich wohl doch alles einigermaßen vernünftig absolviert und war nun sowohl erleichtert, mich nicht völlig blamiert zu haben als auch nunmehr relativ gelassen im Hinblick auf mögliche weitere Aufnahmen, die folgen würden. Die erste Hürde war genommen.
Wir gingen zurück zum Haupteingang. So spannend dieser Uhu auch war, die Teilneh-mer unserer Wanderung mussten inzwischen eingetroffen sein und warteten bestimmt schon.
 
Nachdem Renate Dyck die Gruppe begrüßt, uns und das Fernsehteam noch einmal vor- gestellt und natürlich nicht versäumt hatte von unserer eben stattgefundenen Begegnung zu berichten, waren alle voller Erwartungen. Es konnte losgehen.
 
Wir durchquerten den Tierpark auf dem geplanten Weg und steuerten den Wald an. Im Tierpark selbst war nun nichts mehr von dem Uhu zu hören, dafür jedoch drang aus dem Wald oberhalb der Wechselgesang von nunmehr zwei Uhus. Offenbar war der abendliche Tierparkbesucher zu seiner Partnerin in den Wald zurückgekehrt.
Das war mehr als großartig. Gleich zu Beginn unserer Wanderung gab es schon so viel zu hören und zu erklären. Eigentlich war die Tour schon jetzt perfekt.
 
 
 
Unglücklicherweise hatten die Filmemacher von Kanal 21 von Beginn an ein wenig mit ihrer technischen Ausrüstung zu kämpfen. Zum Einen hatte ihr Kameralicht die etwas unerfreuliche Angewohnheit, am laufenden Band auszugehen. Zum Anderen waren sie ohne Nachtsichtgerät (ich bezeichne es als Laie einfach mal als solches) nicht in der Lage ins Dunkel hinein zu filmen, sondern mussten zu ihrem Ärger für alle Aufnahmen das grelle Kameralicht einschalten.
Andererseits war dieses häufige An und Aus des Lichts vielleicht genau das, was unsere Wandergruppe interessant für den Uhu machte. Zu unser aller Überraschung blieb er uns während der gesamten Wanderung auf der Spur. Sein immer wieder, oft ganz in unserer Nähe, einsetzendes Rufen versicherte uns laufend seiner Anwesenheit.
 
So etwas ist uns bisher nur bei einer einzigen anderen Wanderung passiert, doch das ist eine andere Geschichte.
Wir waren begeistert. Wo immer wir Halt machten, damit Renate etwas über die Geschichte der Wege oder ich zur umgebenden Flora oder Fauna erzählen konnte – der Uhu war im Hintergrund zu hören, teilweise keine hundert Meter weit entfernt.
 
Ihren absoluten Höhepunkt fand die Nachtwanderung dann, als wir auf einem Nebenpfad, der sich an einem Berghang hinaufschlängelte, nach einem recht steilen Teilstück etwas verweilten, um kurz zu verschnaufen und einen Moment die Stimmung dieser Vollmondnacht zu genießen. Unser gefiederter Begleiter hatte sich in der Krone eines Baumes ein Stück weit hangabwärts niedergelassen.
 
Die Silhouette des großen Vogels war klar gegen den hellen Mond im Hintergrund zu erkennen und immer wieder schallte sein Ruf zu uns herüber. Wir standen lange schweigend da und es schien eine stille Übereinstimmung in der Gruppe zu herrschen, dass das Hier und Jetzt ruhig ewig anhalten könnte. Die Szene schien einem romanti-sierenden Bilderbuch entsprungen zu sein.
Letzten Endes wollten auch die Herren vom Fernsehen natürlich etwas von dieser Stimmung einfangen, begannen die Leute nach ihren Eindrücken zu befragen und versuchten den Uhu ins Bild zu fassen.
 
Doch ich bin mir sicher, kein Filmmaterial der Welt könnte im Nachhinein widerspiegeln, was jeder einzelne von uns in dieser Nacht im Wald, am Berghang stehend empfunden haben mag. Diese wenigen Momente werden wohl für immer nur jedem allein gehören.
 
 
 
Als das Kamerateam die Aufnahmen beendet hatte und das Kameralicht wieder voll-ständig erloschen war kehrte kurz noch einmal vollständige Stille in unserer Wandergemeinschaft ein. Letzten Endes musste Renate darauf aufmerksam machen, dass die Zeit mittlerweile doch recht fortgeschritten war und wir uns auf den Rückweg machen mussten. So schwer es uns fiel, uns von dem liebgewonnenen Anblick zu trennen, setzten wir uns doch langsam wieder in Bewegung.
 
Als ob er von unserer Aufbruchstimmung angesteckt worden sei, flog nun auch der Uhu, wie zum krönenden Abschluss, endgültig über uns hinweg den Hang aufwärts in den Wald. Die Silhouette des riesigen Vogels glitt lautlos keine zehn Meter über unsere Köpfe hinweg und verschwand im Dunkel der Baumwipfel. Alle standen wie gebannt.
 
Doch nun war es wirklich Zeit vom Wald und vom Uhu Abschied zu nehmen und sich auf den Weg zurück zum Tierpark und zum Parkplatz zu begeben. In der Ferne hinter uns hörten wir weiterhin das mit dem größeren Abstand immer leiser und einsilbiger werdende „Buhu“, das uns jetzt so lange begleitet hatte. Es war lange Zeit recht still. Jeder hing wohl eigenen Gedanken nach, jeden hat unser gemeinsames Erlebnis gewiss in anderer Weise berührt.
 
Wieder im Tierpark angekommen, fingen die Gespräche an. Praktisch jeder hatte das Bedürfnis, das Erlebte zu rekapitulieren. Am Parkplatz standen Teilnehmer der Wanderung noch lange und tauschten sich aus, bevor auch die letzten von uns den Nachhauseweg antraten.
 
 
Epilog
 
Diese Wanderung mag für jeden etwas anderes bedeutet haben. Für jeden der Teilnehmer, für uns als Veranstalter und auch für das Fernsehteam vom Kanal 21. Doch eines kann ich mit absoluter Sicherheit sagen. Wenn es Wanderungen gibt, die möglicherweise nicht mehr als lohnenswert sind und solche, bei denen man etwas Beson-deres und Außergewöhnliches erlebt, an das man auch in Jahren mit einem Lächeln zu-rückdenkt, dann war diese Wanderung in erster Linie eines: EINZIGARTIG.
 
 
 

 

 

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